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Von unreflektierten Erwartungen und Generationen-Themen

In vielen Unternehmen fragen sich Führungskräfte und HR-Manager, wie sie mit den Erwartungen der Generation Y umgehen sollen. Aus der Reflexion zu einem Elternabend eines Karateklubs ergeben sich einige Fragen mit überraschend hoher Relevanz für Unternehmen.

Der Vorstand eines lokalen Karatevereins hat einen Informationsabend für die Eltern von Kindern, die kürzlich mit Karate angefangen haben, ausgeschrieben. Zielsetzung ist es, diesen Eltern, die größtenteils selbst wenig Bezug zu Karate haben, einen Einblick in die Arbeit des Vereins und insb. das Karate-Training zu geben.

Und so finden sich viele Eltern, der Vorstand und einige der Trainer des Vereins zu dieser Versammlung ein. Nach der Vorstellung von Vereinsleitung und Trainern taucht plötzlich ein heftiger verbaler Angriff eines Elternpaars auf einen der Trainer und seine Trainingsmethoden auf. Wie es scheint, gab es eine Vorgeschichte, die dem Vorstand bereits bekannt ist. Die Vorwürfe hinsichtlich der pädagogischen Methoden in Richtung Trainer sind heftig, und die Eltern werfen die Frage nach seiner Qualifikation auf. Der Trainer, ein ausgebildeter Sozial- und Sonderpädagoge mit mehreren Jahrzehnten Berufserfahrung sowie langjähriger Karatka bleibt sehr ruhig und lässt sich nicht in die Diskussion hineinziehen. Dem Vorstand gelingt es gekonnt zur Tagesordnung zurückzukehren.

Für mich ist dieser Zwischenfall noch nicht verdaut. Ich frage mich, worum es hier wirklich geht, und was mitunter weit tiefer liegt. Aber soweit komme ich nicht, denn es meldet sich ein Vater zu Wort, der seines Zeichens ausgebildeter und geprüfter Trainer für zwei andere Sportarten ist. Er berichtet, was er bei einem der letzten Trainings beobachtet hat, als er einmal zugesehen hat. Seinen Schilderungen zufolge sah er einen höchst undisziplinierten Haufen Kinder, die sich fast ausschließlich Probleme hatten den Anweisungen der Trainer Aufmerksamkeit zu schenken, und diese dann auch ordentlich umzusetzen. Viele der Kinder hätten laufend kleine Aggressionen untereinander gezeigt, sobald sich der Trainer anderen Kindern gewidmet hat. Die in Karate wesentlichen Aspekte wie beispielsweise Disziplin, Respekt vor einem Trainer (höherer Gurt) oder die Wertschätzung des Gegenübers habe er in keiner Weise erkennen können. Dieser Vater erwähnt jedoch die Geduld, welche die Trainer gezeigt hätten, und denen er dafür Respekt zollen möchte.

Damit war die Geschichte nicht nur um einen Aspekt reicher, sondern auch Betroffenheit im Raum, handelt es sich doch vielfach um die Kinder der anwesenden Eltern.

Für mich war das Ausmaß der geschilderten Unruhe überraschend, wurde aber von den Trainern bestätigt. Kennt man solche Schilderungen zwar von vielen Lehrern, so überraschte an diesem Abend jedoch, dass dieses Verhalten offensichtlich in einem Verein gezeigt wird. In einem Vereinstraining, welches die Kinder freiwillig besuchen (außer die Eltern zwingen sie), und bei Kindern, die eine Sportart erlernen wollen, in der es eben nicht um Kampf sondern um Beherrschung von Körper und Geist, sowie um den Respekt klassisch-traditioneller Werte geht.

Nun könnte eine einfache Antwort sein, dass die Kinder ja eben genau deshalb dort sind, bzw. dass die Eltern sie aus diesen Überlegungen dorthin schicken. Aber wenn dem so wäre, dann müsste ja weit mehr Verständnis über die "Philospohie" von Karate bekannt sein. Und dann würden vereinzelte Eltern wohl nicht so unverständlich gegen einen einzelnen Trainer vorgehen.

Somit frage ich mich weiter, worum hier wirklich geht. Und je länger ich versucht habe zu verstehen, was sich da abspielt, umso klarer wurden einige Aspekte. Hier stellvertretend einige der offensichtlicheren:

  • Viele der Eltern scheinen nicht zu verstehen, worum es in Karate eigentlich geht. Die „Philosophie“, die Zielsetzungen sowie die kulturelle Herkunft sind weder bekannt noch reflektiert. Die Eltern schicken ihre Kinder also in ein Training, ohne den gesamten Blick darauf zu haben, worum es bei dieser Sportart geht.
    Damit drängt sich die Frage auf, ob es eine Bringschuld eines Vereins ist, auf die Zielsetzungen der Sportart hinzuweisen, oder ob man von Eltern erwarten darf sich genauer mit dem Thema zu beschäftigen, bevor sie ihre Kinder in ein Training schicken.
  • Die Generation der Kinder, die nun in die Vereine eintritt, ist eine Generation, die ganz stark von unmittelbarer positiver Befriedigung geprägt ist, und die, wenn sie das nicht bekommt, es schwer aushält auf eine solche hinzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die Aufmerksamkeitsspanne immer weiter abnimmt, und die Anfälligkeit für Ablenkungen hoch ist. Durch die Virtualisierung ist für viele auch die Grenzziehung zwischen virtuellem Spiel und dem Umgang mit anderen Menschen schwierig.
  • Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Vorwürfe der oben erwähnten Eltern, dass der Trainer die Kinder motivieren müsse. Ihnen scheint allerdings nicht bewusst zu sein, dass man damit die Linie der externen Motivierung fortsetzt, womit die Kinder noch weiter abhängig bzw. unfähig macht mit Misserfolgen und Frustrationen umzugehen.
  • Die Einstellung mancher Eltern in Richtung Schule und Verein wandelt sich seit Jahrzehnten. Aber auch das Selbstverständnis der Eltern ist im Wandel, ebenso die Erwartungen an Schule oder Verein, von denen erwartet wird Erziehungsarbeit zu leisten.
    Damit wird sich für viele Vereine früher oder später die Frage stellen, wer sich noch ehrenamtlich als Trainer zur Verfügung stellt, wenn Super Mom und Helikopter Dad alles überwachen und kontrollieren, um massiv gegen die Trainer vorgehen, wenn das Kind – aus ihrer Sicht – nicht mit Wattehandschuhen angefasst wird.

Nimmt man nur diese wenige Elemente (stellvertretend für weitere, die hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht ausgeführt wurden) her, so ergeben sich verschiedene Überlegungen für Unternehmen:

  • Welche Konsequenzen hat es für Unternehmen, wenn sich die dort arbeitenden Erwachsenen nicht auf andere kulturelle Aspekte einlassen, und die eigenen Erwartungen nicht ausreichend hinterfragen? Dies insbesondere dann, wenn das Unternehmen zunehmend mit anderen Kulturen zu tun hat, oder es zu Veränderungsprozessen kommt, im Zuge derer eine Reflexion der mentalen Modelle und der eigenen Erwartungen notwendig wird.
  • Was bedeutet die Forderung fortwährend motiviert zu werden für die Arbeit von Führungskräften - jetzt und in der Zukunft? Zum Unterschied von Motivation und Motivierung hat u.a. Reinhard K. Sprenger bereits einige sehr pointierte Aussagen getätigt, weshalb stellvertretend darauf verwiesen sei. Wie aktuelle Studien zeigen, haben durch "like"-Funktionen zu einer extremen Abhängigkeit, und somit zu einem laufenden Drang nach neuem "gemocht werden" geführt. Wer nicht gleich ein like erhält, fühlt sich nicht mehr gut.
  • Welche Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung benötigt die iGen (Generation iphone), die mitunter schon jetzt mitbekommt, dass sogar auf politischer Ebene massiv abschätzige Twitter- oder Facebook-Meldungen zum Alltag gehören, um trotzdem Wertschätzung und Respekt zu entwickeln? Und wie können sie lernen Disziplin und Impulskontrolle zu üben, wenn ihnen gerade das Gegenteil vorgelebt wird?
  • Abschließend: Wie beeinflussen diese Entwicklungen die Organisationskulturen (jede Organisation hat mehrere Subkulturen, und nicht nur die eine Organisationskultur), bzw. welche Maßnahmen werden seitens der Organisationen gesetzt, um auf die gesellschaftlichen Entwicklungen zu reagieren?
    Und wie wirken sich die Unterschiede zwischen Generationen und Kulturen auf eine Organisation als soziales System aus, wenn es zu disruptiven Veränderungen kommt, und ganz viele der Erwartungen nicht mehr erfüllt werden können? Oder umgekehrt, wenn aufgrund von Brüchen möglicherweise mit ganz viel Frustration umgegangen werden muss. Was bedeutet das für Führung und wie verändern sich die Aufgaben von HR?